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Machtkampf im Vatikan

in Termine - Veranstaltungen - Aktuelles 30.05.2012 12:51
von martin_r • 576 Beiträge

"Den Laden nicht im Griff"
Der Historiker Lill spricht im Interview mit der "Frankfurter Rundschau" über die Verantwortung des Papstes in der "Vatileaks"-Affäre, Korruption und die Zuspitzung der Machtkämpfe im Vatikan.
Zur Person
Rudolf Lill, 77, ist emeritierter Professor für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Karlsruhe.
Als Gastprofessor lehrte er unter anderem an mehreren italienischen Universitäten. Er gilt als ausgewiesener Kenner Italiens, Roms und der Kirchengeschichte. Er ist Autor des Buches
„Die Macht der Päpste“.

Herr Lill, was sagen die Vorgänge der vergangenen Tage über den Zustand des Vatikans aus?
Im Vatikan, der ja eine geschlossene Oligarchie ist, hat es zu allen Zeiten Machtkämpfe gegeben, die mit sehr unredlichen Mitteln ausgefochten worden sind. Aber in den letzten Jahren ist eine Zuspitzung erfolgt. Und man muss wohl sagen, dass Papst Benedikt – ein Mann der Bücher und Prinzipien – sich um die Tagesarbeit des Regierens zu wenig kümmert. Dabei umgibt er sich mit Ratgebern, die wie er selbst zum rechtesten Flügel der Kirche gehören. Er hat eine Untersuchungskommission eingesetzt, die das Verschwinden geheimer Dokumente aufklären soll. An der Spitze dieser Kommission steht ein alter spanischer Kardinal aus dem Opus Dei. Die Dokumenten-Flucht muss von höherrangigen Leuten inszeniert worden sein.
Zu den rätselhaften Vorgängen der jüngsten Zeit zählt, dass der Erzbischof Vigano weggelobt wurde.
Absolut. Vigano sollte Ordnung in die vatikanische Verwaltung bringen und hat darauf hingewiesen, dass die Verwaltung des Vatikanstaates voller Korruption sei und dass man da aufräumen müsse. Daraufhin ist er als Nuntius in die USA versetzt worden – eine ehrenvolle Abschiebung. Es muss also Kräfte geben, die die reinigenden Anti-Korruptions-Tendenzen konterkarieren wollen.
Muss man aus allen diesen Vorgängen nicht den Schluss ziehen, dass Benedikt XVI. seinen Laden nicht richtig im Griff hat?
Das kann man wohl so sagen. Ich glaube, dass dahinter ein abgehobenes reaktionäres Kirchenbild steht, das Bild einer zentralistischen, autokratisch geführten Kirche. Weil die Mehrheit der Gläubigen nicht mehr der Linie des Lehramts folgt, lebt der Vatikan weitgehend abgeschottet von der realen Welt.
Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Verhaftung des Butlers und der Entlassung von Gotti Tedeschi, des Chefs der Vatikanbank IOR?
Auf jeden Fall, obwohl ich ihn nicht genau durchleuchten kann. Der Papst hat sich an dieser Front wohl ehrlich engagiert, indem er einen hoch qualifizierten Banker seines Vertrauens geholt hat. Aber es sieht so aus, als hätten sich diejenigen, die die strengeren Kontrollen des neuen Mannes nicht wollten, gegen ihn durchgesetzt. Das zeigt, dass weder der Papst noch sein Staatssekretär ihren Laden fest in der Hand haben.
Ist der verhaftete Kammerdiener Paolo Gabriele, der angeblich die streng vertraulichen Unterlagen weitergereicht hat, möglicherweise nur ein Bauernopfer?
So sieht es aus. Er will ja aussagen und preisgeben, woher er seine Dokumente hat. Gegner von Gegnern im Vatikan müssen diesem Mann eine Fülle geheimster Papiere in die Hände gegeben haben. So etwas hat es früher auch gegeben, aber jetzt treten diese Vorfälle massiert auf.
Rechnen Sie mit weiteren personellen Konsequenzen und Verhaftungen?
Man erwartet weitere Verhaftungen, aber es stellt sich die Frage, ob in den Skandal nicht Männer verwickelt sind, die man nicht verhaften wird. Es würde vatikanischen Usancen entsprechen, den einen oder anderen Kardinal oder Prälaten in aller Heimlichkeit mit neuen Aufgaben außerhalb des Vatikans zu betrauen. Ich bin sicher, dass die Sache nicht zu Ende ist.
Gehen Sie davon aus, dass die Intrigen auch dem Papst selbst gelten?
Davon muss man ausgehen, wenn man den Apparat und seine Methoden kennt. Eine solche Aktion schadet dem Papst auf alle Fälle. Dass sie ihm bewusst schaden soll, ist zumindest einkalkuliert. Und es wird sichtbar, dass es inzwischen zwei katholische Kirchen gibt: die der Prälaten und der Kirchenfunktionäre oben und die der Pfarrer und Gemeinden unten.
Das Gespräch führte Harald Biskup.


Martin R.

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